Zwei von sieben

Thomas und Luc Frutiger teilen sich seit Januar 2022 das Verwaltungsratspräsidium der Frutiger Gruppe.
Im Interview erzählen die beiden Cousins von ihrer gemeinsamen Kindheit in Oberhofen, wie sie den Weg in die Firma fanden und was sie ähnlich und anders machen als ihre Väter.

Luc und Thomas Frutiger
Luc und Thomas Frutiger

Thomas und Luc Frutiger, welche Erinnerungen haben Sie an Ihre gemeinsame Kindheit?

Luc Frutiger – Wir sind Tür an Tür in Oberhofen aufgewachsen. Ausserdem sind Thomas und ich fast gleich alt, so dass wir von Kindesbeinen an viel zusammen gespielt haben. Auch unsere Geschwister waren oft mit von der Partie. Zusammen waren wir also sieben Frutigerkinder.

Thomas Frutiger – Mir ist vor allem der gemeinsame Schulweg nach Ittigen bei Bern in Erinnerung geblieben. Dort besuchten wir Frutigerkinder die Rudolf- Steiner-Schule. Ich holte mit meinen Geschwistern Luc und dessen Geschwister ab, dann liefen wir hinunter zur Bushaltestelle, nahmen den Bus nach Thun, stiegen in die Bahn nach Bern und weiter mit der Bahn nach Ittigen. 75 Minuten dauerte ein Weg – das ist viel Zeit für unbeaufsichtigte Kinder. Wir haben Hausaufgaben gemacht, aber nicht nur. Einmal wurde die Notbremse gezogen. Von wem, darüber schweigen die Annalen.

Sie waren also nicht nur Cousins, sondern Freunde?

Luc Frutiger – Wir waren Cousins, Spiel- und Klassenkameraden und als Jugendliche eine Seilschaft im SAC Steffisburg. Dort haben wir Berg-, Ski- und Klettertouren unternommen und auch einige schwierige Schlüsselstellen gemeistert. In solchen Momenten lernt man viel von- und übereinander. Unsere Kindheit und Jugend bildet bis heute eine gute Vertrauensbasis für die Zusammenarbeit.

War der Weg ins Familienunternehmen vorgezeichnet?

Luc Frutiger – Nein, unsere Väter haben nie Druck auf uns Kinder ausgeübt. Von sieben Kindern sind ja auch nur zwei in die Firma eingetreten: erst ich, dann Thomas.

Thomas Frutiger – Mit deiner Lehre zum Tiefbauzeichner warst du immerhin prädestiniert für eine spätere Tätigkeit bei Frutiger. Dein Vater Max war stolz auf dich.

Luc Frutiger – Das stimmt. Ich habe mich früh für die Firma interessiert und empfand eine Art generationenübergreifende Verantwortung. Andererseits war ich aber auch nicht der richtige Typ fürs Gymnasium und Studium an einer Uni. Ich wollte schon immer etwas Praktisches machen, da war eine Lehre in der Baubranche und der Besuch der Fachhochschule genau das richtige für mich.

Thomas Frutiger – Da haben sich unsere Wege dann getrennt, weil ich dann auf das Wirtschaftsgymnasium gewechselt habe. Wie eine Firma funktioniert, das fand ich immer spannend. Später habe ich Betriebswirtschaft an der HSG studiert. Das hiess aber überhaupt nicht, dass mein Berufsziel die Frutiger Gruppe war. Im Gegenteil: Während Luc Mitte der 1990er-Jahre bereits im Strassenbau von Frutiger als Bauführer arbeitete, bin ich als Kaufmännischer Direktor einer Liebherr-Tochterfirma nach Brasilien ausgewandert.

Woran lag dieses Zögern?

Thomas Frutiger – Im Vergleich zu Lucs Vater, Max, war mein Vater offener bezüglich der Frage, ob wir Kinder dereinst Verantwortung für das Familienunternehmen tragen wollten. Er liess uns viel Freiheit und Zeit, um einen solchen Schritt reiflich zu überlegen.

Es kam dann in den 1990er- Jahren zum sogenannten «Interregnum» in der Frutiger Gruppe, eine Phase, in der weder in der Geschäftsleitung noch im Verwaltungsrat Familienmitglieder der Frutigers sassen. Wie kam es dazu?

Luc Frutiger – Unsere Väter und Onkel, also die dritte Generation, hatte im Verwaltungsrat eine Alterslimite von 70 eingeführt, wie das heute in vielen Unternehmungen üblich ist. Wir Kinder der vierten Generation waren allerdings noch zu jung und unerfahren, um in ihre Fussstapfen zu treten.

Thomas Frutiger – Trotzdem wollten sie uns Kindern die Tür zum Unternehmen offenhalten. So haben sie 1994 allen sieben Kindern zu gleichen Teilen ihre Aktien treuhänderisch vermacht – ohne Nutzniessung. Wir erhielten also keine Dividende, mussten fortan jedoch an die Generalversammlungen. Gleichzeitig wurde ein familieninternes Ausbildungsprogramm gestartet. Etwa alle drei Monate wurden wir in ganztägigen Schulungen an die Firma herangeführt. Wir lernten Bilanzen lesen, den Aufbau der Firma, ihre Risiken und Chancen und die unterschiedlichen Abteilungen, Geschäftsleitungs-Mitglieder und andere Mitarbeiter kennen.

Heute sind Sie beide Alleininhaber der Frutiger Gruppe. Wie ging das bei vier Geschwistern in der dritten Generation und sieben Kindern in der vierten Generation?

Luc Frutiger – Unsere Väter wussten, dass eine Zerstückelung des Aktionariats eines der grössten Risiken für den Fortbestand eines Familienunternehmens ist. Ihr Ziel war eine Konzentration der Aktien auf die 2 Familien.

Thomas Frutiger – Ein zweites Risiko besteht, wenn einige in der Familie nur passive Mitbesitzer einer Firma sind und andere auch operativ in der Firma tätig sind. Da drohen Interessenkonflikte,  weil sich Aktionäre hohe Dividenden erhoffen, während Unternehmer längerfristigere Ziele haben. Genau deshalb gab es das erwähnte Schulungsprogramm, damit jedes Kind für sich herausfinden konnte, ob es in die Firma einsteigen will oder nicht. Denn: Das Unternehmertum ist nicht jedermanns Sache. Daran muss man wirklich Freude haben.

Luc Frutiger –  Schliesslich war es meine Cousine Katharina, die den Stein ins Rollen brachte. Sie sagte Ende der 1990er-Jahre: Ich habe genug gesehen. Mir sind diese Schulungen und GVs zu viel, ich will meine Aktien abtreten an diejenigen, die in der Firma Verantwortung übernehmen wollen. Nach und nach haben dann alle ihre Anteile abgegeben, bis nur noch Thomas und ich übrig waren. Trotzdem hat sich Thomas lange Zeit gelassen, bis er schliesslich in die Firma eingetreten ist.

Thomas Frutiger  – Ich musste meine Rolle in der Firma erst finden. Nur Finanzen und Administration wollte ich nicht machen, vom Bauen hatte ich nicht genug Ahnung. Was mich zu interessieren begann, war unser Immobiliengeschäft, was wir damals im kleinen Umfang betrieben. Im Gegensatz zum Rest der Firma, wo wir Dienstleistungen verkaufen, ist eine Immobilie ein Produkt, viel betriebswirtschaftliches Wissen erfordert und eine Rendite abwerfen soll. Man kauft Land, entwickelt eine schöne Überbauung und verkauft oder bewirtschaftet diese danach. Da stellen sich also betriebs- und finanzwirtschaftliche Fragen, und diese Fragen faszinierten mich schon lange. Da erkannte ich grosses Entwicklungspotential. Also habe ich in München noch Immobilienökonomie studiert – das gab es damals in der Schweiz noch gar nicht.

Luc Frutiger –  Schliesslich hat dich mein Vater gedrängt, einen Entscheid zu fällen: Entweder steigst du jetzt ein – oder aus. Du bist zum Glück eingestiegen. Wir haben uns in der Immobilienentwicklung dank dir sehr gut entwickelt.

Was machen Sie in der Unternehmensführung ähnlich wie ihre Väter, was anders?

Luc Frutiger –  Wir sind Frutigers, und ich hoffe, das spürt man als Mitarbeiter und Kunde des Unternehmens. Die flachen Hierarchien, die Bodenständigkeit, das Qualitätsversprechen, eine gewisse Bescheidenheit, unser gesellschaftliches Engagement – da gibt es klare Bezüge zu unseren Vorfahren. Wir sind bis heute keine «kalte» Firma, sondern leben den Gedanken eines persönlich geführten Familienbetriebs. Wir fordern viel von unseren Mitarbeitern, aber wir geben auch viel. Und wer tüchtig ist, dem eröffnen wir Chancen. Wenn Sie unsere Kader anschauen, werden Sie feststellen: Da haben einige ihre Karriere als Lernende begonnen, bei Frutiger.

Thomas Frutiger  – Strategisch sind wir hingegen eigene Wege gegangen, insbesondere was die Wachstumsstrategie angeht. Allerdings hatten uns unsere Väter diesbezüglich auch nie Vorgaben gemacht. Keine Tradition hindert uns an unserer Entwicklung. Wir verstehen uns nicht als Bewahrer, sondern sind unternehmerisch und gehen neue Wege.

Was Sie auch von ihren Vorgängern übernommen haben, ist die geteilte Führung. Wie funktioniert diese konkret

Luc Frutiger –  Thomas und ich haben 2001 zwei einfache Grundsätze vereinbart: Erstens soll keiner der Chef des Anderen sein, und zweitens muss ein regelmässiger Austausch stattfinden, damit wir wirklich gemeinsam entscheiden, nicht abwechselnd. Diese Grundsätze bilden bis heute die Grundlage unserer Zusammenarbeit.

Thomas Frutiger  – Konkret heisst das, dass wir uns jede Woche zu zweit zusammensetzen und die wichtigsten Fragen der Unternehmensführung besprechen. Die repräsentativen Aufgaben teilen wir uns meistens.

Welche Vorteile hat eine Doppelführung?

Luc Frutiger –  Ich bin überzeugt, dass wir zu zweit die besseren Entscheidungen treffen, als es jeder von uns alleine tun würde. Denn bis es zu einer gemeinsamen Entscheidung kommt, braucht es Überzeugungsarbeit. Und wir sind beide offen genug, die besseren Argumente anzuerkennen. Das  heisst: Jeder Entscheidung geht ein Prozess voran, und das ist wichtig.

Thomas Frutiger  – In der Politik bildet das «Checks and Balances», also die gegenseitige Kontrolle der Institutionen, die Grundlage der Demokratie. Bei uns ist das ähnlich. Wir «kontrollieren» uns gegenseitig und haben darüber hinaus die Geschäftsleitung und den Verwaltungsrat, um Entscheidungen abzuwägen. Die Firma gehört mir und Luc genau zur Hälfte, keiner von uns kann alleine entscheiden und allzu grosse Dummheiten begehen.

Und die Kehrseite der Medaille?

Thomas Frutiger  – Wer immer allein in der Sonne stehen will, der wird keine Freude an einer Doppelführung haben. Da muss man auch einmal zurückstehen können. Von uns steht oft nur einer im Rampenlicht.

Luc Frutiger –  Ein weiterer Nachteil ist die Zeit. Einer allein entscheidet sicher schneller als wir. Das ist auch die grösste Knacknuss bei unserer Zusammenarbeit: die Zeit. Wir führen ja auch noch Geschäftseinheiten und tragen operative Verantwortung. Da ist man manchmal versucht, das gemeinsame Treffen abzublasen. Aber das tun wir selten, weil wir wissen, wie wichtig der Kontakt zueinander ist.

Thomas Frutiger  – Grundsätzlich müssen wir aber auch zugeben, dass wir beide eigentlich von Anfang an mehr oder weniger eine «Schönwetterperiode» in der Baubranche erleben. Von schweren Krisen wie Kriege, die Ölund später die Immobilienkrise blieben wir bislang verschont. Vielleicht steht uns die grösste Bewährungsprobe noch bevor. Aber ich bin optimistisch, dass wir auch diese meistern würden.

Sie sind beide Väter von insgesamt vier Kindern – wie sieht es mit der fünften Generation aus?

Luc Frutiger –  Es ist noch zu früh, um über die Nachfolge zu reden. Thomas und ich haben noch ein paar Jahre vor uns, und unsere Kinder sind noch Teenager. Aber ja: Meine Söhne, Cedric und Manuel, haben schon mehrmals in den Ferien bei Frutiger Luft geschnuppert. Sie interessieren sich für die Firma. Jetzt müssen sie aber erstmal das Gymnasium abschliessen und dann wird man weitersehen.

Thomas Frutiger  – Wichtig ist nur, den Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen, die ihren Talenten entspricht. Sie sollen ihren eigenen Weg gehen – ob der dann früher oder später in unsere Firma führt, wird sich zeigen. Ich bin ja selbst auch erst über Umwege mit 35 Jahren zu Frutiger gestossen. Da haben unsere Kinder also noch viel Zeit. Wenn wieder ein Kind pro Familie die Verantwortung übernehmen möchte, wäre dies ideal.

Thomas und Luc Frutiger führen die Frutiger Gruppe in vierter Generation. Die Söhne von Fritz bzw. Max Frutiger wuchsen Tür an Tür in Oberhofen auf, gingen in dieselbe Schulklasse und bildeten im SAC Steffisburg über Jahre eine Seilschaft. Beruflich trennten sich ihre Wege. Thomas Frutiger studierte an der Hochschule St. Gallen (HSG) Betriebswirtschaft, arbeitete anschliessend für verschiedene Firmen im In- und Ausland und absolvierte 2001 an der European Business School in München ein Nachdiplomstudium in Immobilienökonomie. Luc Frutiger lernte derweil Tiefbauzeichner, machte am Technikum Burgdorf das Diplom zum Bauingenieur und arbeitete danach im In- und Ausland in unterschiedlichen Baufirmen. Im Jahr 2000 absolvierte er ein Executive MBA an der Universität St. Gallen. Seit 2002 sind die beiden Cousins in der Geschäftsleitung und im Verwaltungsrat der Frutiger Gruppe. Beide sind verheiratet und haben zwei Söhne.